Samstag, 30. März 2013

Vorwort


Vorwort

Ich bin derzeit zu Fuß im Heiligen Land als Pilger unterwegs und möchte Euch einladen, mir auf meinen Tagebuch-Einträgen mit Fotos zu folgen, wenn ihr möchtet.

Hier findet ihr meine - selten bierernst gemeinten - Reiseberichte und Bilder von dieser unglaublich beeindruckenden Rucksackreise durch Israel.

Kurz zum Hintergrund:


Nach 6 Urlauben, die ich als Pilger auf unterschiedlichen Wegen nach Santiago de Compostela verbracht habe (Camino Francés, Via de la Plata, Camino Mozarabe), wollte ich einen Pilgerweg ausserhalb meines geliebten und schon allzu vertrauten Landes Spanien ausprobieren.

Seit der Antike ist Jerusalem das Pilgerziel Nummer eins. Zusammen mit Rom und Santiago zählt Jerusalem zum Dreigestirn der "peregrinationes maiores", was sozusagen den Hattric der großen 3 christlichen Pilgerwege darstellt. Bei meiner Recherche stellte sich heraus, dass es in Israel mindestens zwei markierte Wege gibt, die dafür in Frage kommen:


Erstens der erst ein paar Jahre alte und nur 60 km lange "Jesus Trail", der von Nazareth quer durch Galiläa bis nach Kafarnaum am See Genesareth führt.


http://de.m.wikipedia.org/wiki/Jesus_Trail


Zweitens der bereits seit einigen Jahrzehnten bestehende und unter Israelis bestens bekannte "Israel National Trail" (INT, bzw. auf Hebräisch "Shvil Israel"), der auf insgesamt 1.000 km ganz Israel vom Norden auf den Golanhöhen bis zum Süden bei Eilat am Roten Meer durchquert.

http://de.m.wikipedia.org/wiki/Israel_National_Trail


Meine Idee ist, beide Wege (Jesus Trail komplett und INT zumindest in Teilen) zu einer einzigen Pilgertour zu verbinden, um zu Fuß in 3 Wochen nach Jerusalem zu gelangen.

Falls ihr Zeit und Lust habt, im Geist mitzugehen, seid ihr herzlich eingeladen.


Ich wünsche Euch alles liebe und ULTREIA!
Chris

Samstag, 23. März 2013


22.3.2013, Hatschtag 14, Mevo Beitar / Ein Kobi - Jerusalem (ca 20-25 km)


Jetzt ist es wirklich soweit:

"Ich freue mich, als man mir sagte: "Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern.". Schon stehen wir vor Deinen Toren, Jerusalem. (...) Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit."
 (Psalm 122 (121) - Wallfahrt nach Jerusalem)

Es geht los um 7:30. Josef, der Taxifahrer, setzt mich an der Quelle Ein Kobi ab, dort wo ich gestern meinen Hatsch in die heftige Kobischlucht abbrechen musste. Auf geht's !

Der Weg hinab in die Kobi-Schlucht, den ich mir gestern abend 30 min vor Sonnenuntergang erspart hatte, erweist sich als keine Enttäuschung. Man folgt einem zugewachsenen Flussbett steil abwärts, über Felsblöcke und Geröll. Nein, nicht rollstuhltauglich. Dschungelabenteuer.  






Stehe jetzt unten in der Kobi-Schlucht und bin gespannt, was als nächstes kommt. Irgendwie muss ich ja den ganzen Schamott, den ich grad runtergeklettert bin, bald mal wieder raufhatschen. Weiter geht's.

Unten in der Schlucht angelangt, verstehe ich, warum der INT immer wieder Umwege über bestimmte landschaftlich reizvolle Gegenden macht: Es ist saumäßig schön, dieser Wadi. Alles voller Pinien und Eukalyptus. Morgensonne. Der Wind raschelt sachte in den Blättern - ein Traum. Noch niemand ist hier unterwegs zu dieser frühen Stunde. Du bist als Pilger allein mit Deinem Schöpfer. Unten im Tal, wo das trockene Flussbett des Nahal Refaim liegt, verläuft auch das Gleis der alten Jerusalem-Eisenbahn.

Bin gespannt auf den laut - provokant nüchternem - INT-Führer "strenuous ascent" aus dem Tal raus.

Bin bis jetzt nur einem einzigen Mountainbiker begegnet. Sonst keiner Menschenseele.







Diese letzte Etappe heut ist Abenteuer pur: ich werde den INT und damit die beschriebene Strecke bei Even Sapir verlassen. Ich habe danach keinerlei zusammenhängende Beschreibung mehr, keine Kilometerangaben etc. Ich kann nicht mal sicher sagen, ob die Strecke bis zur Grabeskirche an einem Tag zu schaffen ist oder nicht. Oder ob die Grabeskirche zur Stunde meiner Ankunft überhaupt noch offen hat. Wäre echt schade, wenn nicht.

Habe mir vorgenommen, heute abend in die Altstadt von Jerusalem einzumarschieren, koste es was es wolle. Kann eine ziemlich sture Pilgerseele sein. Hab eine Stirnlampe mit, falls nötig. Wird ja zivilisiert und bewohnt sein, die Gegend, also keine Bange. Sorgen hab ich nur, weil die Stadt hermetisch abgeriegelt ist mit Stacheldraht, Zäunen und Polizeicheckpoints - angeblich, damit keine Palästinenser aus der West Bank hineinkommen. Auch die Highways in die Stadt sind links und rechts mit Stacheldraht gesichert wie der Korridor durch die DDR damals.  

Habe meinen Rucksack dabei, aber nur abgespecktes Gepäck: Wasser, Essen, das Wichtigste für Notfälle. Klamotten, Zelt und Schlafsack lüften gerade im Hospiz aus. Das Gepäck fühlt sich an wie nicht vorhanden. Herrlich!!






Gerade haben mich 5-6 perfekt ausgerüstete Langstreckenläufer überholt, mit professionellen Salomon-Trail-Schuhen, Trinksystemen etc. Richtig coole, gutgelaunte Typen! Einer erzählte mir beim Stichwort, wo ich herkomme, gleich von seiner Teilnahme am Berlin Marathon. Konnte mit dieser Story mithalten - den Berlin Marathon bin ich schon 3x gerannt. Gottseidank hat er mich nicht nach meiner - armseligen - Zeit gefragt...

Der nächste Läufer fragte mich, ob ich ihm (wegen seines extremen Hobbys) einen guten "Shrink" (Psychotherapeuten) empfehlen kann. :-) Hab mich ihm laufenderweise angeschlossen und mit ihm im Laufen weitergeplaudert. Ich KANN nicht stillstehen und zuschauen, wenn Läufer vorbeikommen. Geht nicht. Egal, wie ich's versuche.

Die laufen hier eine lockere Trainingseinheit von 30 km. Verstehe: Ultras. Einer von den Läuferkollegen hat mich in einen Plausch verwickelt. Er stammt ursprünglich aus der Ukraine und hat in Wien an der WU studiert. Wir kannten zum Teil die gleichen Profs in Wien. Er beschwert sich allen Ernstes, dass man in Israel nicht ordentlich auf Ultraläufe trainieren kann, weil es gegen mittag immer viel zu heiß wird. Also muss man schon um 5:00 früh loslaufen. Wohlgemerkt, um die nächsten sieben (!) Stunden laufend zu verbringen...
Wir sprechen tatsächlich 3 Sprachen gemeinsam, wie wir ausprobiert haben. Und weil wir gar so vertieft ins Gespräch waren, hab ich meine Abzweigung auf den "strenuous" Pass verschwitzt. :-) also hatsch i wieder zurück.






Ok, die haben im INT-Führer wirklich nicht zuviel versprochen. Das WIRD strenuous. Es geht ordentlichst die Wand rauf, über Felsen und Abhang. Yes!

Hab ich's schonmal erwähnt? Das war Wildwasser Stufe IV, aufs Bergaufhatschen übertragen. Wow.

Weiter geht's auf einem entspannten Forstweg, hoch über dem unglaublich schönen Tal des Wadi "Nahal Refaim".

...Und wieder runter, und wieder rauf...

Das Höhenprofil des INT hat frappierende Ähnlichkeit mit dem Aktienkursverlauf eines TecDax-Unternehmens.

Wenn man den INT gehen will, muss man entweder Steigungen lieben oder sich selbst ziemlich hassen.

Daher: Wenn ich künftig die Worte lese "und sie gingen nach Jerusalem hinauf" wird da immer auch etwas von der Passionsgeschichte mitschwingen. Automatisch.






An einem der Quellen-Pools, die sich hier auf den Anhöhen vor der Hl. Stadt befinden, sitzt ein Shvilisten-Opa - ein Nackabatzl wie Gott ihn schuf - und entspannt sich vom Hatschen. Wer's mag. Die gemischt-geschlechtlichen Israeligruppen, die nach mir an ihm vorbeigehatscht sind, hat's eher leicht irritiert. Mich hat's auch gewundert. Ist ja der Nahe Osten gemeinhin nicht als Pfuhl hedonistischer FKK-Sinnenfreude verschrieen.

Wieder einmal kommt - angekündigt durch immenses Kreischen schon Minuten vorher - eine Truppe orthodoxer Jugendlicher vorbei, ca 7 Männlein & Weiblein stark, von denen kein einziger etwas anders als Hebräisch spricht. Gilt das Erlernen fremder Sprachen bei denen als unreines Teufelszeug? Wie kommunizieren die mit den Arabern im eigenen Land? Gar nicht?

Bissige Bemerkung am Rande: Ich finde, es ist kein Wunder, dass die radikalste Partei der Ultraorthodoxen den treffenden Namen "Schas-Partei" trägt. :-)


In der Ferne sieht man schon das sicherlich in der Medizinercommunity bekannte Hadassa Medical Center. Ein riesiges Hochhaus mit Blick in die herrliche Berglandschaft voller ehemaliger Terrassengärten. Von denen sind einige laut INT-Führer sage und schreibe 6000 Jahre alt!

Jetzt setzt ein echter Sandsturm ein. Der Wind bläst ordentlich. Die Täler um Jerusalem versinken in Staubnebel. Krass. Binde mir mein Arafat-Tuch wie ein palästinensischer Steineschmeißer - bzw. wie ein Beduine - um den Kopf, damit das Gesicht geschützt ist.




Ich sehe die erste christliche Kirche, auf dem Berg über mir. Müßte Maria Heimsuchung (Church of the Visitation) sein. Bin gespannt. Laut GPS hab ich noch knapp 10 km bis zum Heiligen Grab. Und 5h bin ich schon auf den Beinen. Hunger macht sich breit. Und das ausgerechnet jetzt, wo der Sabbat beginnt und nicht damit zu rechnen ist, dass mal schnell von links ein Falafelladen in Reichweite kommt.

Bin gerade zur Kirche Maria Heimsuchung hochgehatscht. Leider machen die erst wieder um 14:30 auf, da muss ich aber schon wieder unterwegs Richtung Grabeskirche sein.

Immerhin schreibt Wikipedia:

 "Die Kirche wurde über dem Elternhaus und Geburtsort Johannes des Täufers errichtet und damit an der Stelle, wo Maria und Elisabeth einander begegneten und Maria das Magnifikat anstimmte (Lk 1,39-56 EU ). Die Kirche hat eine natürliche Grotte, die bereits in byzantinischer Zeit zu einem Ort der Anbetung wurde. 638 wurde die Unterkirche errichtet. Die Franziskaner kauften 1679 den Ort, und nach fast zwei Jahrhunderten Wartezeit bekamen sie von der osmanischen Herrschaft die Erlaubnis zum Wiederaufbau der Kirche. (....)"

- Na, das sind mal gründliche Genehmigungsverfahren. Und bei uns regt man sich auf, wenn ein Verwaltungsverwahren mal länger als 2 Wochen dauert...

Der hungrige Pilger erspäht - leider nur - eine Brasserie, direkt neben dem Marienbrunnen. Was ich jetzt nicht brauche, sind in Senf gegarte Wachteleier mit Froschschenkeln oder was ähnlich grausames, in 18 endlosen Gängen serviert. Ah! Sie haben Hamburger auf der Karte - und schon sitz ich drin!

Der Burger war fein. Als hätten ihn die Welschen erfunden. Ganz vorbildlich. Und jetzt heißt's wieder auf, auf nach Jerusalem! Bevor ich Gehörstürze krieg von der ungenießbaren, melodiefreien Hipster-Chill-Out-Musik, die hier aus dem Radio kommt.

Durch die französisch-amerikanische Slow-Food-Pause komme ich gerade rechtzeitig, weil die Visitatio-Kirche (Maria Heimsuchung) gerade aufmacht. Hier also besuchte die schwangere Muttergottes Elisabeth, die ihrerseits Johannes den Täufer im Leib trug. Hier hörte die Menschheit erstmals das Magnificat.  

Weiter geht's. Vom Viertel En-Kerem ins Viertel Be't Hakerem. Nette Gegenden. Sabbat ist ausgebrochen mit aller Brutalität. Nix los. Nicht mal ein Hund hängt jetzt tot übern Zaun. Alles ausgestorben. Nicht mal Penner gibt's - die machen am Sabbat auch Pause. Der Nackerbatzl-Opi von der Quelle heute könnte bedenkenlos durch die Straßen chargieren. Niemand würde Notiz davon nehmen.

Mit mystischem Wüstenstaubnebel über der Stadt, bisweilend beißend kaltem Wind und unter der Stimmung der ausgestorbenen Stadt bin ich weitergegangen, Schritt für Schritt, Stadtviertel für Stadtviertel.

Jetzt hab ich's geschafft: Ich bin tatsächlich den letzten Meter bis zur Grabeskirche gehatscht. Mein Pilgerziel im Heiligen Land ist erreicht. Ich werd ein bissl Zeit brauchen, bis ich alle Gedanken sortiert habe, die mir grad durch den Kopf gegangen sind.






Gottseidank hat heute die Grabeskirche länger offen, so dass ich keine echte Eile hatte auf den letzten Kilometern. Heute machen sie um Mitternacht die Grabeskirche wieder auf. Wenn ich da vor Müdigkeit noch stehen kann, werde ich vielleicht ohne Touristentrubel eine Art Nachtwache machen, wie die mittelalterlichen Pilger am Ziel ihrer oft monatelangen Wallfahrt.

Meine Füße tun ordentlich weh. Gut, dass das jetzt am letzten Tag so arg ist und nicht schon vorher. Heute während meiner selbst gewählten "Ehrenetappe" in die Heilige Stadt hinein hab ich ordentlich Meilen gemacht, war von 7:30 bis 17:30 auf den Beinen, mit nur einer Stunde Mittagspause. Und da waren saftige Steigungen dabei. Das muss man echt mögen.

Ich muss sagen, dass ich insgesamt einen äußerst fleißigen Schutzengel an jedem Tag, auf jedem Meter meines Pilgerweges durchs Heilige Land hatte. So viel hätte schief gehen können - und ist nicht. Krankheiten und Abnutzungsprobleme, die ich mir auf früheren Pilgerwegen durch Spanien eingefangen hatte, haben einen Bogen um mich gemacht. Meine wertvollste Sache, meine Füße, haben bis zum Ende mitgemacht, obwohl sie anfangs beim Gehen merkwürdig geschmerzt haben.

Hier mein kurzes, erstauntes Résummée:


  • So viele Steine liegen im Hl. Land auf den Wegen... Und keiner davon hat mich zu Fall gebracht (und umgeschnacklt bin ich oft).
  • So viele Leute laufen im Hl. Land schwerbewaffnet herum... Und keiner davon hat mich bedroht.
  • So viele Gewalttäter leben im Hl. Land ... Und keiner wollte mir was böses tun.
  • So viele Schlangen, Skorpione und Hyänen leben im Hl. Land ... Und nichts davon kam in meine Nähe.
  • So viele Menschen mit Ressentiments gegen Christen oder gegen Deutsche leben im Hl. Land ... Und keinem davon bin ich begegnet.
  • So viel verdorbenes Essen wird im Hl. Land serviert ... Und keines davon hat mich außer Gefecht gesetzt.
  • So viele Tage mit Rekordtemperaturen oder Regen gibt es im Hl. Land ... Und keiner hat mir das Weiterpilgern beeiträchtigt.
  • So viele Möglichkeiten gibt es im Hl. Land, seinen Weg zu verlieren - und mir ist es weiß Gott wie oft passiert, aber nie so, dass ich mir hätte Sorgen machen müssen.







"Fallen auch tausend zu deiner Seite, dir zur Rechten zehnmal tausend, so wird es doch dich nicht treffen. (...) Denn der Herr ist deine Zuflucht, du hast dir den Höchsten als Schutz erwählt. (...) Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt; du schreitest über Löwen und Nattern, trittst auf Löwen und Drachen." (Psalm 91)

Es hat sich bewährt, sich nicht zuviel Sorgen zu machen und stattdessen einfach loszugehen. Das kann ich auch nur allen raten, die sich mit dem Gedanken tragen, eines Tages auch Pilger zu werden: Schuhe schnüren, Rucksack packen und los. Jedes Abwägen, jede Bedenkenträgerei, jede Bedenkzeit wird dazu führen, dass man eher gar nicht losgeht, weil der Mut fehlt. Der Zeitpunkt ist NIE perfekt. Rein in's kalte Wasser!

"Abbiate sempre coraggio!"
('Seid immer mutig!', Papst Johannes Paul II)

Jetzt sitz ich grad in einer arabischen Teestube bei einem feinen Schwarztee mit frischer Minze (arabisch-typisch mit viel Zucker) und erhole mich von dem langen Tag und von dem 3-wöchigen Hatsch.

Mein Traum von der Nachtwache am Heiligen Grab hat sich leider soeben zerschlagen. Obwohl hundemüde, bin ich gegen 1:00 früh noch durch die verlassenen, verwinkelten und leicht gruseligen Gassen der Jerusalemer Altstadt geirrt, um zur Grabeskirche zu gelangen. Leider war der ganze Vorplatz mitsamt der St. Helena Straße abgesperrt. Schade. Jetzt wird erstmal ausgeschlafen.

Ich bin mir sicher, dass ich mein Leben lang an diese Pilgerreise nach Jerusalem denken werde.
Psalm 137 schreibt: 

" Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe." -

Ich hoffe, dass die doch etwas drastische Gedächtnisstütze nicht nötig sein wird. - Die Zunge ist mir ja außerdem auf dem Weg hierher schon oft genug am Gaumen geklebt. :-)


Ca. 300 km sind geschafft!


Ankommen ist etwas schönes. Steigert nämlich die Vorfreude auf das nächste Aufbrechen, Inch'Allah.
  
ﺍﻟﺴﻼﻡ ﻋﻠﻴﻜﻢ (as-salāmu ʿalaikum)
(Shalom) שלום
& God bless you!

Freitag, 22. März 2013


21.3.2013, Hatschtag 13: Wadi Ela - Eziona Junction - Ein Kobi / Mevo Beitar (ca 25 km)







Auf geht's zur letzten großen Etappe nach Jerusalem! Auf in die
Heilige Stadt! Deus lo vult!

Um 5:30 beginne ich in meinem Zelt, den komplexen Aufstehprozess (das
"Lever") einzuleiten. Kämpfe an gegen beißende Kälte, kalte, klamme
Finger, Tau auf der Zeltplane innen & außen, Tau auf dem Schlafsack,
Brille beschlagen... Bäh.

Um kurz nach 7:00 ist alles verstaut und es kann losgehen. Was ich mit
dem nassen altersschwachen Zelt machen werde, mal schauen -
Insch'allah. Den empfindlichen Daunenschlafsack werd ich heute gut
trocknen lassen müssen.

Es ist 8:00 früh und das Thermometer zeigt bereits
ambitioniert-sportliche 27 Grad. Des werd' was wer'n heit.
Es muss jetzt endlich offziell verkündet werden:


Gear-Report:
_____________

Merke: Wenn Du vom Rucksackschleppen Schmerzen in den Hüften bekommst,
die Dich nach einer neuen Hüfte beiderseitig schreien lassen -
Wechselsohle in die Schuhe und - schwupps - weg sind die Probleme. Es
hat soeben schon wieder geklappt. Weiter geht's.

Fazit: Soweit ich das mit meinem begrenzten medizinischen Horizont
beurteilen kann, ist dieser Art der konservativen Therapie gegenüber
der sofortigen Implantation von 2 künstlichen Hüften bei den meisten
Patienten der Vorzug zu geben.




Es geht mir langsam echt so richtig auf den Zeiger, dass der INT
konsequent jede Form menschlicher Siedlung (= Wasser, Nahrung,
Zivilisation, Bett, Leben) vermeidet und stattdessen lieber in hohem
Bogen stundenlang bergauf über irgendwelche namenlosen Hirbets führt.
Yes, I got the point! Israel is beautiful! Lots of history!! Aber ich
hätt gern was gscheites im Magen und ausreichend Wasser im
Vorratssack. Man merkt, dass der INT kein von tausenden Pilgerfüßen
über Jahrhunderte geschaffener Weg ist (wie der Camino), sondern in
den 70er Jahren von einem passionierten Wanderer künstlich angelegt
wurde, um Israel zu Fuß zu bereisen, wie er es auf dem Appalachian
Trail in den USA kennengelernt hatte. Wenn dagegen authentische
Pilgerwege seit der Frühzeit durch Unmengen von Pilgern entstehen,
dann berühren sie garantiert jede damals existierende menschliche
Siedlung, jeden schattigen Rastplatz und jede einzelne Wasserstelle -
und vermeiden jeden einzelnen unnötigen Höhenmeter! In den spanischen
Dörfern entlang des Camino Francés ist oftmals sogar die Hauptstraße
eines Dorfes nach dem Pilgerweg benannt: Sirga Peregrinal.

Ich kann's kaum glauben, dass ich heute abend schon in der Altstadt
von Jerusalem schlafen werde, dass ich mich durch die kleinen Gässchen
der Altstadt auf der Suche nach der besten Falafel vorarbeiten werde,
dass die leidige Zeltpennerei und Friererei in der Nacht ein Ende
haben wird.

Pilger nahmen ja bereits im Mittelalter gern die Gelegenheit wahr,
sich vor dem Besuch der jeweiligen heiligen Stadt (zum Teil sicher zum
ersten mal) zu waschen. Vor Santiago de Compostela ist sogar ein
ganzes Flüßchen nach der dort lokalisierten rituellen Reinigung der
Pilger benannt: Lavacola. Und Labacola heißt heute auch der Flughafen
von Santiago, der Flughafen, der wohl die meisten One-way Passagiere
der Welt befördern dürfte - denn gekommen sind die meisten ja zu Fuß.
Lavacola - das heißt "wasch den Hals". Aber die Spanier wären nicht
die Spanier, wenn "cola" bzw. "colla" nicht noch auch eine frivole
zweite Bedeutung hätte (die ich mir hier verkneifen muss).

Egal, was sich die Pilger im Flüßchen Lavacola genau gewaschen haben,
gründlich dürfte es jedenfalls nicht gewesen sein, denn aus Gründen
des intensiven Geruchs der vielen Pilger, die damals in der Kathedrale
von Santiago die Nachtwache halten durften, wurde ein riesiges
Weihrauchfass angeschafft, so groß wie ein halbes Auto, in Schwung
gesetzt von 7 kräftigen Herren - der berühmte Botafumeiro, der heute
noch die modernen Pilger zu tausenden entzückt und durch den vielen
Weihrauch auch verzückt.






Gerade einen nervigen Umweg um ein voller Weizen stehendes Feld nehmen
müssen. Habe bei der Durchquerung des letzten Weizenfeldes
festgestellt, dass danach die nackerten Beine lange Zeit noch jucken,
wie bei einer Allergie. Das erspare ich mir jetzt und gehe aussen
vorbei - und schnackle dabei, abgelenkt durchs Navi, ordentlich mit
dem rechten Fußgelenk um. Aua! Schimpfen, fluchen, weiterhatschen. Die
Heilige Stadt wartet!

There is no coming to heaven with dry eyes
(Thomas Fuller)

Überhaupt kommt's mir vor als schau ich nach einer Nacht draußen ohne
Dusche etc extra abgerissen aus. Mein Gear dreckig und der Schlafsack
feucht ins Sackerl gestopft, der Rucksack löchrig und voller Dreck...

Die Gear-Fee flüstert mir soeben ein, den Schlafsack zum Trocknen auf
dem Rucksack auszulegen. Das mache ich natürlich.

Bruchstücke von römischen Säulen bzw. Meilensteinen liegen neben dem
uralten Weg. Die Straße hieß einst Caesarenstraße und wurde im Jahr
166 von Kaiser Hadrian angelegt, um die Truppen dorthin zu verlegen,
wo sie dem Aufstand der Juden ("Israbellion") ein Ende bereiten
konnten.

Vor dem Hatsch habe ich mir übrigens für die Wüstenetappen die
wichtigsten und besten Regeln für Wüsten-Survival aus ca. 5
Überlebensbüchern in ein paar handlichen Stichworten
zusammengeschrieben. Wenn jemand daran interessiert ist, bitte kurzen
Kommentar auf dem Blog hinterlassen. Wenn's keiner wissen will, erspar
ich's Euch.

Weiter geht's auf der ehemaligen Römerstraße, knackig bergauf,
Richtung Kibbutz Matar. Dort soll's Wasser geben.
Gerade in Hirbat Khan vorbeigekommen. Der war früher eine
Zwischenstation für Reisende nach Jerusalem. Es stehen noch
Häuserruinen, zum Teil kann man auf den antiken Mosaiken herumgehen.






Soeben an einem weiteren uralten Gebäude vorbeigekommen. ...

Ein Mata! Wasser!

Merke wieder einmal: Kohlenhydrate sind ebenso wichtig wie Wasser.
Also rein mit dem Kohlenhydrat-Gel. Sonst riskiere ich in der Hitze
einen Schwindel wie beil letzten Camino.

Wasser-Refill im Moshav Mata. Lebensrettend. Hatte nur noch 1,5 l,
damit kommt man nicht sehr weit bei 27 Grad und nur noch Steigungen,
verschlungenen, fast zugewachsenen Pfaden steil bergauf zwischen
Kakteen und Dornengestrüpp. Die Etappe heut ist eine der härteren.
Sogar der INT-Führer, der immer maßlos untertreibt und absolut
emotionslos das Gelände beschreibt, schreibt von "difficult terrain".

Der nette Herr, der mich Wasser nachfüllen ließ, meinte, es seien noch
"6-7 Stunden" bis Even Sapir. Na hurra. Ich hab nur noch 4 h
Sonnenlicht! Wenn wenigstens die Tage länger wären, dann könnte ich
jetzt eine gepflegte rituelle Siesta halten (ora, labora et siesta),
mich lege artis rehydrieren und dann frisch und ausgeruht bis nach
Even Sapir chargieren. Aber so wird's nix. In dieser Botanik komme ich
auch mit meiner Stirnlampe kaum einen Meter weiter. Schlimmer noch, in
diesen Hirbets befinden sich regelmäßig alte Zisternen - da geht's
unverhofft recht weit abwärts, wenn man nicht genau aufpasst.

Werde jetzt mal die österreichischen Freunde vom Hospiz vorwarnen,
dass sie mir heut abend ein Taxi schicken müssen. Hoffe, die kriegen
das gebacken.

Yes!! Hatte soeben Herrn Johannes aus Kärnten an der Leitung, der mir
den hoteleigenen Taxifahrer um ca 18:00 klarmachen wird. Yess! Jetzt
kann ich entspannter weiterhatschen.

Mitten in der Nachmittagshitze, hoch oben über dem Moshav Mata, kommen
mir auf dem wirklich äußerst gerölligen Wegerl zwei ungewöhnliche
Mountainbiker entgegen: Orthodoxe Jungs, ca 14, mit vorschriftsmäßigem
Radlhelm, schwarzer Anzugshose und weißem langem Hemd! Leider klappt
die Kommunikation mit ihnen genauso wenig wie mit fast allen Beduinen:
Außer "hello" können sie kein Englisch. Sind die wirklich so
konsequent, dass sie sogar das Studium wichtigster Fremdsprachen dem
permanenten Thoralesen opfern? Wow...






Übrigens sind in Europa nicht mal Ordensleute so steil wie die
orthodoxen Juden hier. Im Kloster Heilig Kreuz unweit von Wien, wo ich
auch mal als Pilger übernachten durfte, fährt einer der
Benediktinerpatres gerne mal mit seiner fetzigen Maschine durch die
Gegend. Nein, er muss dies nicht in seinem Habit tun - er darf dafür
in die Motorradkombi wechseln. Wäre vielleicht mal eine Marktlücke:
Ein StVO-konformer Habit für motorradfahrende Ordensleute... Komplett
mit Protektoren, Reflektoren, Belüftungsschlitzen etc. :-)

Jeder Orden erlaubt je nach Anlass Anzugserleichterungen, sogar auch
die steilen Templer damals im Heiligen Land. Die durften ein
leichteres Leinenhabit tragen.

Der INT-Führer schreibt: "from the hilltop Bar Giora is visible to the
west." Mir wäre jetzt lieber, wenn es hieße "From the hilltop Bar
Refaeli is visible to the west." :-)

Die wichtigste und vornehmste Aufgabe eines Pilgers ist Beten. Für
alle, die es nötig haben. Und für alle, die ihn unterwegs darum
bitten. Ich erfahre über meinen Blackberry viel von zuhause und von
meinen Lieben. Die Anlässe für Fürbitten bestehen reichlich. Ob ich
bis zum Abflug meines Fliegers aus dem Heiligen Grab rauskomme, bei
all dem, was ich unbedingt loswerden muss?

Auf meinen Jakobsweg-Nebenrouten, die mich oft durch extrem abseits
gelegene Gegenden Spaniens geführt haben, wo normalerweise seit dem
Mittelalter keine oder kaum Pilger vorbeikommen, haben mich
gelegentlich wildfremde Menschen gebeten, am Grab des Apostels für sie
zu beten. Ein pensionierter Schuster, der mir meine Schuhe gerichtet
hatte, wollte kein Geld nehmen, aber die Fürbitte vor dem Patron
Spaniens war ihm umso wichtiger. Pilger tragen eine Menge Gepäck mit
sich rum. Nur ein Teil davon ist der Rucksack.

Ich bin mir sicher, dass mir der erstmalige Besuch in der
Grabeskirche, dem heiligsten Ort der Christenheit, sehr sehr nahegehen
wird. Je näher ich der Hl. Stadt komme, umso emotionaler werde ich.
Das wird sicher sehr intensiv.

Von Ein Koba, einer uralten Quelle mit Picknickzone, geht es abwärts
in den Koba Canyon.
Ich stehe nach 10 min Abwärtshatsch vor dem Eingang in einen
dschungelartigen Kletterweg, zugewachsen, abenteuerlich, mit
ungewissem Ausgang am Ende des Canyons. Es ist 17:30. Zu spät. Nur
noch 30 min Sonnenlicht. Zu riskant. Ich hatsche wieder bergauf bis
zur Quelle.








Telefoniere mit dem Taxifahrer. Bestelle ihn zu Mevo Beitar.  Ist
extrem umständlich, weil er sich sehr mühsam anstellt.

Orthodoxe machen Picknick an der Quelle. Wie zu erwarten sprechen sie
kein Wort Englisch.

Sitze beim "Einlaufbier" an der Tankstelle von Mevo Beitar und warte
auf das Taxi nach Jerusalem.

Unterhalte mich an der Tankstelle mit 2 Israelis, 1 Jude, 1 Moslem.
Sie Lachen, als ich sage, dass ich morgen von hier aus weitergehe.

Josef, der moslemische Taxifahrer, versucht, einen knallhart erhöhten
Preis zu verlangen für die Fahrt nach Jerusalem (200 Shekel, üblich
sind 120). Als ich ihm sage, dass ich morgen früh zurückfahren möchte,
um zu Fuß in die Stadt zu hatschen, und dass ich dafür nochmal ein
Taxi brauche, zeigt er sich auf einmal erstaunlich konziliant. Wir
einigen uns - wie auf dem orientalischen Basar - auf 300 Skekel (60€)
für beide Fahrten. Damit haben wir 2 Gewinner. (Irgendwas muss ich ja
gelernt haben als Anwalt)

Schon das wenige, was ich in der Dunkelheit von Jerusalem sehe, haut
mich schlicht um. Ich will die ganz großen Eindrücke aber für morgen
aufheben, wenn ich zu Fuß einmarschiere. Erst dann ist meine
Pilgerreise zu Ende.

Auf dem Weg durch die engen Gassen zum Hospiz fährt Josef äußerst
orientalisch-ambitioniert und kriegt dabei von einem
Straßendienst-Fahrzeug einen Kratzer ab, m.E. selbstverschuldet.
Riesengeschrei. Er blockiert die Straße. Mir wird das Geschreie,
Geschacher und vor allem die Warterei im Auto zu viel. Ich pack meinen
Rucksack und gehe zu Fuß zum Austrian Hospice. Der kann mich mal mit
seinem Unfallgezeter.

Er kommt mir auf der engen Einfahrt zum Hospiz dann nachgefahren und
fährt mir fast über den Fuß, weil's ihm so pressiert. So ein Depp.

Ich checke ein - wow! Was für ein Palast! Auf jeder Zimmertür steht
der jeweilige Sponsor auf einem goldenen Schild. Bei mir hat die
"Komturei Linz OESSH", also offenbar vom Orden des Heiligen Grabes,
sich verewigen dürfen.







So, und jetzt geht's erstmal los auf die rituelle Jerusalemer Falafel!!!

Deus lo vult!!!

Morgen um 7:00 steht der Josef wieder in der Lobby und fährt mich
alten Streber wieder raus nach Mevo Beitar, von wo aus ich erneut -
diesmal standesgemäß zu Fuß - in die Heilige Stadt einchargiere.

Du weißt, Du bist zu lange Pilger, wenn...
...Du Dich bei fremden Gesprächspartnern höflichkeitshalber erstmal
für Dein abgerissenes Äußeres und Deinen strengen Geruch entschuldigst
- und vergißt, Dir diese Form der Höflichkeit nach Deiner Rückkehr in
Deinen alten Bürojob zuhause wieder abzugewöhnen.

Ich bin tatsächlich angekommen - vorerst!!!

Ich hab mir grad mein erstes Jerusalemer Shawarma klargemacht, gleich
außerhalb des Damaskustores. Und ich wohne mittendrin in der Stadt,
mitten im Gewusel von frommen Juden, Arabern mit Umhang,
verschleierten Damen, schwerbewaffneten Militärpolizisten und frommen
Touristen - und natürlich den auch bei uns häufigen halbwüchsigen
arabischen "Testosteron-Tankstellen", schreiend, streitend, wichtig,
immer in Action.

Ich darf mich nicht zu sehr reinsteigern - noch bin ich nur zur
Übernachtung hier, morgen komm ich so richtig an, nänlich zu Fuß. Aber
alle guten Vorsätze der emotionalen Mäßigung sind leider schon beim
Verlassen des Hospizes über Bord gegangen. Seitdem chargiere ich mit
offenem Mund durch das Gewusel und flüstere permanent "is das
geil...is das geil...is DAS geil..."

Was ist so geil? Ich habe keine Ahnung.

Das Flair haut einen um. Die Einmaligkeit meines Pilgerabenteuers, das
orientalische Flair wie aus einem schlechten Film, die Häuser, die
allesamt ausschauen, als hätte Jesus Christus dortselbst sein letztes
Abendmahl abgehalten.







Es gibt sogar ein eigenes Krankheitsbild, das nach Jerusalem benannt
ist. Wikipedia weiß hierzu: "Das Jerusalem-Syndrom bezeichnet eine
psychische Störung, von der jährlich etwa 100 Besucher und Einwohner
der Stadt Jerusalem betroffen sind. Die Erkrankung besitzt den
Charakter einer Psychose und äußert sich unter anderem in
Wahnvorstellungen: Der oder die Betroffene identifiziert sich
vollständig mit einer heiligen Person aus dem Alten oder Neuen
Testament und gibt sich als diese aus."

Die gestrenge österreichische Schwester Oberin, die für das Hospiz
verantwortlich ist, gibt mir eine leicht unterkühlte Einweisung an der
Rezeption. Habe nicht das Gefühl, dass Fusspilger hier in irgendeinem
besondern Ausmaß auf Sonderstatus hoffen dürfen. Klar, schließlich kommen auch so
viele "Pilger", jeden Tag. Mit Bussen und Flugzeug. Und die kriegen
tatsächlich auch eine offizielle Pilgerurkunde vom Hospiz ausgestellt.
Ich frage, wieviele Pilger denn zu Fuß hier ankommen. Antwort: "1 bis 2". Pro
Monat? "Pro Jahr"! Na dann hoffe ich, dass ich auch so eine
"Compostela de Jerusalem" bekomme. Macht sich sicher gut an der Wand.

Das Hospiz ist zu 150 % "Little Austria goes Mid-East." Es ist schwer
zu beschreiben. Am Dach weht die rot-weiß-rote Flagge. Alle, die hier
arbeiten, von der gestrengen Oberin bis zum Zivi (!) an der Rezeption,
sprechen knackiges Österreichisch. Es gibt eine Besucher-Ahnentafel,
an der natürlich Kaiser Franzl prominent verewigt ist. Es gibt ein
Caféhaus mit Walzerseligkeit, Mehlspeisenküche und Melange. - Küß die Hand!! Ich fühl
mich hier pudelwohl.

War gerade am Dach. Blick über die nächtliche Altstadt. Wen das nicht
aus den Klapperln haut, dem ist echt nicht mehr zu helfen!!

So, jetzt rein in die Federn. Der Taxi-Josef kommt um Punkt 7:00, um
mich wieder auf die Startposition zurückzubringen. Gute Nacht!!

Ultreia!

Mittwoch, 20. März 2013

20.3.2013, Hatschtag 12: Beit Guvrin - Eziona Junction (ca. 20 km)

Bombig! Der Tag beginnt gleich mit einer Katastrophe: Habe beim Einpacken heute eine meiner beiden orthopädischen Schuheinlagen vergessen. In meinen Schuhen stecken gerade meine Wechselsohlen aus Silikon, weil die nämlich weniger auf die - leider wieder nachgewachsene - Blase (sog. blasa recidiva) drücken. Wechselsohlen mitzunehmen hat sich extrem bewährt. Wäre einen eigenen Gear-Report wert. Heute mit den Silikonsohlen zB. sind auch die quälenden Hüftschmerzen von gestern wieder weg. Einfach neue Sohlen reinmachen und es fühlt sich an wie ein neues Paar Schuhe.



Gottseidank sind meine "Zimmer"-Vermieter echt der Traum. Ich rufe sie an und sie bringen mir lieberweise meine vergessene Sohle zur Hauptstraße gleich neben dem INT. Unglaublich, wie hilfsbereit die sind. Extra-Hatsch-Kilometer kostet mich das nicht, aber leider viel Extra-Zeit.

Die Hauptstraße 38, wo ich gerade warte, war bereits in der Antike die Verbindung zwischen Askalon (bekannt durch das beliebte Lied vom schwarzen Walfisch) und Jerusalem.




Die Hauptverkehrsstraße zur Zeit Jesu war wohl die Via Maris, über die Jesu Familie auch nach Ägypten geflohen ist. Die Flucht der Hl. Familie nach Ägypten birgt reichlich Inspiration für künftige Pilgerwege - sobald sich in Ägypten das Volk mit seiner Arabellion wieder beruhigt hat. Es wirkt dort seit geraumer Zeit wie die berühmte mexikanische Partei, die mehrere Jahrzehnte an der Macht war: Partido de la Revolución Institutionalizado (PRI). Also Daueraufruhr, der einem friedliebenden Pilger, der nur fromm durch das Land wallen möchte, eher abträglich ist.




Man erkennt einen echten Pilger übrigens auch daran, dass er a) immer Hunger hat und nie angebotenes Essen ablehnen würde und b) dass er jeden Meter des Weges - aber auch wirklich jeden einzelnen - zu Fuß hatscht. Dementsprechend habe ich gerade das superlieb gemeinte Angebot von Amnon, dem netten Zimmer-Vermieter, ablehnen müssen, mich gleich noch ein paar km weiter zu fahren, um mir etwas Zeit zu sparen. Soweit kommt's noch. Hatscher-Ehrensache.

Amnon wirkt übrigens so entspannt wie kaum jemand, den ich kennenlernen durfte. Wovon er lebt? Er war früher mal der Webmaster für Israel von IBM. Dann hat er wegen dem Stress dort gekündigt und lebt jetzt von 3 äußerst hübschen "Zimmer"-Einheiten, die er mit seiner Frau, die Designerin ist, wahnsinnig geschmackvoll eingerichtet hat und an Touristen vermietet. Er wirkt zufrieden, glücklich und mit sich vollends im Reinen. Genau da will ich auch hin!





Heute werde ich auch am Tel Azeka vorbeikommen, der in der Bibel gleich zweimal eine Rolle spielt: Einmal beim Sieg des Joshua über die Amoriter - zu dieser Zeit pflegte Jahwe noch regelmäßig persönlich in das Schlachtenglück seines auserwählten Volkes einzugreifen - und einmal, als David dem Goliath, einem Activen der feindlichen Philister, eine saftige Hochquart mit der Schleuder auf das Nasenblech verpasst hat. Dies stellte selbst nach damaligem Reglement einen klar uncommentgemäßen Hieb dar. Dennoch wurde die Partie von dem Unparteiischen (Jahwe, praktischerweise in Personalunion mit dem Sekundanten der Israeliten) für ziehend befunden. Daraufhin zogen die Philister - der Corporierte ahnt es - mit gesenktem Blick in das Philisterland zurück.
Ich war noch nie in einem Gebiet unterwegs, das soviel corporative Geschichte auf engstem Raum zu bieten hat.




Abmarsch war heute um 7:30, direkt vor der Tankstelle, dem gestrigen Zielort. Jetzt ist es 9:00 und viel mehr als 3 km dürfte ich noch nicht geschafft haben. Dann sind's heute ja nur noch 22 km, haha.


Meine Zimmer-Vermieter sind übrigens auch Jakobspilger. Davon gibt's äußerst wenige in Israel, was fùr ein Zufall. Sie sind dieses Jahr wieder 10 Tage auf dem Camino Francés unterwegs. Ich wünsche ihnen alles gute und "buen camino" bzw. "happy trails".

Habe jetzt mein Bedürfnis an Tels und Hirbets weitestgehend gestillt. Der INT führt hier nur noch hügelauf, hügelab, immer wieder 200 hm rauf, 150 hm runter und das gleiche nochmal von vorn.... Die Landschaft ist so bergig wie das Voralpenland. Und dabei bin ich noch nicht mal im Bergland von Judäa.

Waren die Fliegen gestern nervig, sind sie heute grauenhaft.

Meine Erfahrung: Orthodoxe Jüdinnen schauen meist bleich und leicht säuerlich in die Landschaft. Ihr bärtiger Gatte daneben tut es ihnen zumeist gleich. Ein Lächeln kommt ihnen nur selten aus. Ich merke mittlerweile oft schon am leicht reservierten Verhalten, wenn eine Dame orthodoxe Jüdin ist - wie die, die mir grad begegnet ist mit kleinen Kindern. Abgesehen davon tragen sie in der Regel Tücher um die Haare, was das Aussehen leider unseren deutschen Ökomuttis annähert. Sie selber bezeichnen sich nicht als "orthodox" sondern als "religious people" - was ja m.E. die aufgeklärteren Juden quasi als areligiös stigmatisiert.








Ich war grad wieder der Star-Shvilist: Erst kommen mir auf dem einsamen, wunderschönen Wegstück von Tel Goded nach Tel Azek zwei israelische Mitshvilisten entgegen, einen davon konnte ich ohne jeden Zweifel als Slash von Guns'n'Roses identifizieren. Wow! - Sie sind gerade auf ihrer ersten Tagesetappe und wollen bis Eilat ganz im Süden durchhatschen. Wieder mal israelische Kollegen mit 27 kg am Buckel. Beide haben lange Haare, ihre Militärzeit lag also schon einige Zeit zurück (bei uns heißen ja lange Haare: Ich geh überhaupt nicht zum Militär). Und nachdem wir unsere üblichen Shvil-Tipps und Erfahrungen ausgetauscht haben, kommt eine Pre-Army-Jugendgruppe vorbeigehatscht, allesamt lustig kreischend und mords die Gaudi. Sie machen gleich Fotos von uns dreien und sind einfach begeistert.

Der Vorteil bei israelischen Ausflugsgruppen ist: Man kann von ihnen niemals überrascht werden. Sie kündigen ihre Präsenz freundlicherweise schon von mehreren km Entfernung durch lautes Rufen, Kreischen und durch pausenlose Perma-Party an.

Es hat 27 Grad und ist wolkenlos. Hurra!

Jetzt sitz ich grad unterhalb des Gipfels des Tel Azeka, wo damals die denkwürdige Partie zwischen David und Goliath ausgetragen wurde.







Auf dem Stück bis zum Tel Azeka war noch ziemlich viel Trubel: mehrere orthodoxe Jugendgruppen veranstalteten einen Gesamt-Ausflug. Die Gaudi, die da vor den Bussen auf dem Parkplatz geherrscht hat, kann man sich, wenn man Israel noch nicht kennt, nur schwer vorstellen.

Kurz vor dem Gipfel des Tel Azeka stieß dann eine Gruppe mit ca 50 Soldaten in vollem Einsatzgepäck, Bewaffnung und mit nahezu ebensovielen Diensthunden dazu, die offenbar gerade einen Leistungsmarsch machte. Als ihr Anführer bemerkte, dass Touristen anwesend waren, befahl er, was ich wohl auch befehlen würde: Laufschritt auf den Gipfel. Und so quälten sie sich die letzten Meter hinauf. Ich bin jemand, der kann bei so einem Schauspiel nicht abseits stehen - also hab ich mich den Kameraden kurzerhand angeschlossen, samt Rucksack, und bin mit auf den Gipfel gerannt, hab die Nachzügler mit angefeuert. Herrlich. Auf dem Gipfel war die Erleichterung der Soldaten groß. Einige gaben sich High Five, andere fielen sich in die Arme. Schön. Ich bin breit grinsend weitergehatscht.

Kurz vor Zacharia merkte ich, dass ich noch Wasser organisieren muss, wenn ich heute abend wieder im Zelt schlafen muss. Also hab ich meinen Rucksack abgelegt und bin vom Gewicht befreit den Abstecher zur Tankstelle rüber und wieder zurück zum Rucksack gegangen. Hat 45 min gekostet, aber jetzt kann ich guten Gewissens zelten und kochen.

Bei dem heute noch vorhandenen Tageslicht und wegen der bereits in der Früh eingehandelten Verspätung war leider nicht daran zu denken, bis zum heutigen Etappenziel, Eziona Junction, weiterzuhatschen, ca in 5 km Entfernung. Ausserdem war das Rucksackgewicht mitsamt dem frischen Wasser fast unerträglich nach der heutigen Bergetappe.

Ich habe deshalb beschlossen, dass es kaum einen Unterschied macht, ob ich mich beim Zielpunkt in Eziona Junction mit dem Zelt in die Landschaft haue oder ob ich das gleich hier tue. Das verlängert halt die morgige Tagesetappe um ca 5 km, aber mei. Eine echte Wahl hab ich nicht, die Sonne geht bald unter.





Im restlichen Sonnenlicht suche ich mir also auf einem namenlosen Hirbet (antiker Siedlungshügel) ein halbwegs ebenes Platzerl für mein Tarptent. Perfekt ist hier oben leider kein Platz. Überall liegen Gesteinsbrocken als Reste der Siedlung, die hier vor etlichen Jahrhunderten mal stand. Dazwischen recht hohes Gras und allerhand Unkraut. Ein halbwegs gutes Platzerl finde ich dann doch und baue das Zelt auf. Im hohen Gras fällt mir die eine oder andere Spezies mittelgroßer brauner Spinnen auf, die ich noch nie gesehen habe - und das ist ein weiterer Moment, wo ich die Entscheidung für mein rundum geschlossenes Tarptent und gegen ein bloßes Tarp (eine schlichte ultraleichte Plane zum Aufspannen mit Trekkingstöcken) nicht bereue. Ich will definitiv die gesamte Fauna dieses Hirbet nicht in meinem Schlafsack haben. Ich bin ja echt ein begeisterter Zelter, Trekker und Ultralight-Freak. Aber ich verstehe die Kollegen echt nicht, die sich in tropischen oder heißen Breitengraden unter ein bloßes Tarp zum Schlafen legen. Das wäre mir echt zu riskant.

Morgen steht die letzte richtige Hatsch-Etappe auf dem Programm. Es geht von Eziona Junction nach Even Sapir / Ein Hindak (21,3 km + 5 km von heute). Es wird HEISS! Angeblich 29 Grad! Sogat abends/nachts bleibt's warm, 20 Grad. Der INT-Führer beschreibt lediglich die Strecke nach Even Sapir, wohl eine Art Vorort vor Jerusalem, und geht dann nahtlose über in die Streckenbeschreibung wieder von Jerusalem weg auf dem INT nach Nordwesten. Finde ich unpackbar. Jerusalem ist die wichtigste und heiligste Stadt Israels. Und da wird dem Shvilisten kein Wort gegönnt, wie man von Even Sapir in die Stadt reinkommt?! Stattdessen gibt's eine extrem umständliche Beschreibung des "Jerusalem Trail", der ja ein Rundweg um die Stadt ist und mich auch nicht zu meinem Ziel in der Altstadt führen würde. Echt saudumm. Ich will mich aber auch nimmer endlos ungewaschen mit Rucksack und Zelt durch die Vororte von Jerusalem quälen, die Heilige Stadt und die Grabeskirche schon vor Augen.






Ich hab daher folgendes Konzept: Ich hatsche morgen bis Even Sapir, wohl im Dunstkreis der Heiligen Stadt. Von dort lass ich mich mit dem Taxi in meine Unterkunft fahren. Dort ist erstmal duschen und Zivilisation angesagt. Und wenn ich eine Nacht im frisch gemachten Bett geschlafen hab, lass ich mich mit dem Taxi eben wieder hinaus nach Even Sapir fahren - der Rucksack bleibt in der Unterkunft - und ich hatsche entspannt die letzte Etappe in die Altstadt rein.

Und dieses schöne Haus hab ich mir in Jerusalem als Unterkunft ausgesucht:

Austrian Hospice in Jerusalem
(http://www.austrianhospice.com)

Reserviert hab ich ein Einzelzimmer von 21.3. bis 23.3. Die Adresse ist - ohne Scherz: 37 Via Dolorosa. Hätte nicht gedacht, dass das auch ein ganz offizieller Straßenname ist. Schaut Euch mal die Internetseite unter dem Stichwort "Essen" an. Da bieten die mitten im Nahen Osten allen Ernstes Wiener Mehlspeisen vom Allerfeinsten, Apfelstruderln etc. Da muss ich hin! Freu mich schon arg.

Im Schlafsack scheint es heute nicht so bitterkalt zu werden wie in der letzten Nacht im Zelt. Hoffentlich. Bis jetzt wirkt es sogar richtig angenehm (toasty). Es ist 19:30 und ich dürfte wohl bald wegpennen - so ruhig und friedlich ist es hier. Der Viertelmond scheint hell auf das Zeltdach, so dass ich sogar im Inneren Sachen halbwegs erkennen kann.

Unter meinem Hügel im Wadi Ela, da lagerten die Israeliten vor dem Zweikampf gegen die Philister.


247 km sind geschafft!